In Liebenau ruhen derzeit die Arbeiten an der Tiefbauinfrastruktur am Kirchplatz. Statt mit schwerem Gerät sind mehrere Archäologen mit Pinsel und Kelle dabei, eine Vielzahl an Funden auszugraben. Auf über 40 Metern Länge und bis zu einer Tiefe von 1,50 Meter wird gegraben.
Dr. Eveline Saal, Bezirksarchäologin des Landesamts für Denkmalpflege Hessen, erläuterte: „In vielen gewachsenen Altstädten gibt es flächige Bodendenkmäler. Im Boden ist so einiges konserviert.” Archäologen seien nicht grundsätzlich immer daran interessiert, alles auszugraben. Schließlich seien die Spuren vergangener Zeiten im Boden am besten aufgehoben. Durch die Funde sei in Liebenau nun aber eine bessere Dokumentation des Alltagslebens möglich. „Der Alltag ist so im Kleinformat erhalten”, sagte Dr. Saal. Gefunden wurden am Kirchplatz Siedlungsschichten aus dem Spätmittelalter (14. Jahrhundert). Einzelne Funde sind außerdem Keramikscherben, ein Truhenschloß aus Metall und organische Reste wie Nußschalen, Leder und Holz. Da der Boden in Liebenau sehr feucht ist, werden diese Dinge besser konserviert. Durch die Funde könne man sagen, dass in Liebenau alles für das tägliche Leben vorhanden war.
Neben diesen Funden wurden auch mehrere Skelette entdeckt. 17 teilweise komplett erhaltene Skelette legten die Archäologen bisher frei. Dabei wurden von der Gesamtlänge des Bereichs bisher erst 4,5 Meter untersucht. Es ist also davon auszugehen, dass noch mehr Überreste zum Vorschein kommen. Nicht überraschend aufgrund der Nähe zur Kirche: es handelt sich um den alten Friedhof. „Wir haben mehrere Lagen von Gräbern übereinander freigelegt”, erklärte Archäologe Dr. Thilo Warneke. Das sei ungewöhnlich, aber vermutlich auf den Platzmangel zurückzuführen. Im Mittelalter glaubten die Menschen, es sei von Vorteil, in der Nähe des Altars der Kirche bestattet zu sein, gab Warneke als einen Grund dafür an. Im 16. Jahrhundert suchte die Pest auch Liebenau heim. Da zu viele Menschen der Krankheit zum Opfer fielen, wurde ein neuer Friedhof außerhalb der Stadt gefunden. Den Zeitpunkt der Beisetzungen der gefundenen Überreste zu datieren, sei schwierig. „Christliche Bestattungen haben keine Grabbeigaben, die untersucht werden können”, so Dr. Warneke. Die Skelette könnten aber von Anthropologen untersucht werden, die anhand der Knochen mehr Auskunft über das Alter oder Details wie Erkrankungen oder Knochenbrüche geben können. Es stehe aber noch nicht fest, ob es dazu komme, sagte Dr. Saal. Sicher sei aber, dass die gefundenen Skelette nach allen Untersuchungen erneut beigesetzt werden, im pietätvollen Rahmen.
Die Ausgrabungen werden umfangreich dokumentiert. Wenn die Archäologen mit ihren Untersuchungen fertig sind, können die Bauarbeiten fortgesetzt werden. „Voraussichtlich bis Ende des Jahres wird es dauern”, sagte Dr. Warneke. „Die Funde sind sicherlich interessant”, sagte Bürgermeister Harald Munser. Er wies aber auch darauf hin, dass die Gemeinde Liebenau einen Großteil der Kosten tragen müsse. Diese seien „deutlich”, wie er festhielt. Eine konkrete Zahl könne man noch nicht benennen. Zudem beeinträchtigten die Ausgrabungen den Bauzeitenablauf und führten so zu einem Mehraufwand.